Ostdeutschland rast auf Politik-Beben zu.
Im Extrem-Fall regiert die AfD alleine.
Schon jetzt blickt die Republik auf die Landtagswahl in Thüringen und Sachsen am 1. September. Um welche Szenarien es geht und warum die Wagenknecht-Partei BSW die Lage noch einmal viel dynamischer macht.
CDU und Linkspartei in einer gemeinsamen Regierung: Rund ein halbes Jahr vor der Landtagswahl in Thüringen ist zum ernst zu nehmenden Szenario geworden, was vor Kurzem noch politisch undenkbar gewesen wäre. Und auch in Sachsen, wo ebenfalls am 1. September gewählt wird, ist die Lage höchst unübersichtlich. Diskutiert wird, ob im Osten aus Sicht der demokratischen Parteien die Unregierbarkeit droht. Welche Konstellationen sind denkbar?
Schwierig bis höchst schwierig war die Regierungsbildung in Thüringen schon in den vergangenen Jahren. Nun ist die Lage noch komplexer.
Wie ist der Stand in Umfragen?
Die Verschiebung der politischen Landschaft wird womöglich gewaltig: In Umfragen liegt die AfD mit mehr als 30 Prozent komfortabel vorn. Es folgen die CDU mit um die 20 Prozent, die Linkspartei mit Ministerpräsident Bodo Ramelow liegt bei 15 bis 20 Prozent. Ramelow regiert derzeit mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung. Die Grünen müssen bangen, ob sie die Fünf-Prozent-Hürde überwinden.
Die SPD steht in Umfragen etwas besser da, aber nicht so viel, dass ein mögliches Ausscheiden aus dem Landtag ihr gar keine Sorgen mehr bereiten müsste. Die FDP ist zwar derzeit im Landtag vertreten, liegt in Umfragen aber nur noch bei 3 bis 4 Prozent.
Und dann ist da noch die Wagenknecht-Partei BSW. Das Institut Forsa taxierte sie im Januar bei 4 Prozent, das Institut Insa hingegen bei 17 Prozent. Nach Daten des Instituts Civey können sich sogar 27 Prozent der Menschen in Thüringen vorstellen, für das BSW zu stimmen. Diese Diskrepanzen zeigen, wie schwer die Erfolgsaussichten abzuschätzen sind.
Und ein weiterer Unsicherheitsfaktor kommt hinzu: Auch Hans-Georg Maaßen will seine neu gegründete Werteunion bei der Landtagswahl in Thüringen antreten lassen. Dieses politische Gründungsprojekt steht allerdings noch ganz am Anfang.
Wovon hängt ab, wie machtvoll die AfD wird?
Der starke Mann in der Thüringer AfD ist Björn Höcke, der Landesverband wird vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet. Der schlimmste Fall aus Sicht der demokratischen Parteien wäre eine absolute Mehrheit für die AfD. Das ist sehr unwahrscheinlich, aber nicht komplett auszuschließen. Je mehr kleine Parteien, zu denen in Thüringen auch die SPD gerechnet werden muss, die Fünf-Prozent-Hürde überwinden, desto unwahrscheinlicher ist eine absolute Mehrheit für die AfD.
„Das stellt insbesondere SPD und Grüne vor ein Dilemma“, sagt Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam. „Um die AfD kleinzuhalten, wäre es am sinnvollsten, die Stimmen des eher linken Lagers zu bündeln, damit nichts durch die Fünf-Prozent-Hürde verloren geht. Aber natürlich muss jede der Parteien für sich selbst kämpfen. Im Ergebnis könnte das die AfD sogar stärken.“
Würde die AfD stärkste Partei, stünde ihr nicht zwingend, aber nach politischer Gepflogenheit das Amt des Landtagspräsidenten zu. Der aber ist Herr des Verfahrens bei der Wahl des Ministerpräsidenten. Sollte keine Mehrheit gegen die AfD zustande kommen, ist nicht auszuschließen, dass in einem dritten Wahlgang sogar Björn Höcke zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte. Die verfahrensrechtlichen Feinheiten sind umstritten. Aber Parteien, die das verhindern wollen, müssten sich womöglich in besonderem Maße auf ihre Verantwortung fürs große Ganze besinnen und vorher andere Mehrheiten ermöglichen.
Auch wenn die AfD keine absolute Mehrheit der Sitze hat, wäre sie schon in einer machtvollen Position, wenn sie mehr als ein Drittel der Mandate auf sich vereinigen könnte, was derzeit wahrscheinlich ist. Dann könnten die anderen Fraktionen nicht mehr ohne Zustimmung der AfD den Landtags zwecks Neuwahl auflösen. Auch könnte die AfD die Arbeitsfähigkeit von Gremien blockieren, indem sie etwa Besetzungen verhindert.
Wie beeinflusst die Wagenknecht-Partei die Lage?
Bisher hat die Wagenknecht-Partei im Osten nicht mit vielen prominenten Namen aufwarten können. Thüringen ist die Ausnahme von der Regel, zwar nicht aus bundesweiter Perspektive, aber mit dem Blick von vor Ort: Katja Wolf, Oberbürgermeisterin von Eisenach, ist von der Linkspartei zum BSW übergetreten. Sie ist im Land verhältnismäßig bekannt und gut vernetzt, und sie könnte als Spitzenkandidatin der Landesliste um Stimmen werben.
Parteichefin Sahra Wagenknecht selbst hat vor Kurzem signalisiert, in Thüringen (und auch in Sachsen) Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen. Sie brachte ein Bündnis mit der CDU ins Spiel. „In Thüringen ist keine Mehrheit ohne CDU oder AfD denkbar“, sagt dazu Politikwissenschaftler Thomeczek. „Die AfD scheidet als Partner aus, also ist es für Wagenknecht strategisch sinnvoll, das CDU-Publikum zu umwerben. Sie will so signalisieren: Wer BSW wählt, kann helfen, die verfahrene Mehrheitsbildung aufzulösen.“
Nach Einschätzung von Thomeczek könnte das auch stimmen: „Wenn das BSW viele Stimmen auf sich vereint und so dafür sorgt, dass andere Parteien es gar nicht erst in den Landtag schaffen, könnte das eine Zersplitterung des Parlaments verhindern und so das Schmieden von Bündnissen erleichtern.“
Die CDU aber kann kein Interesse daran haben, das BSW mit einer Erwiderung der Annäherung zu adeln. Entsprechend zurückhaltend reagierte man dort auf Wagenknechts Avancen.
Welche Bündnisse sind politisch denkbar?
Klar ist nur eines: Mit der AfD zusammenarbeiten will keine der anderen Parteien. Ansonsten werden nach dem Wahltag womöglich bisherige Gewissheiten aufgegeben werden müssen. Das muss aber nicht heißen, dass CDU und Linkspartei ein Regierungsbündnis eingehen müssten. Derzeit wird Thüringen von einer Minderheitenregierung geführt. Gut denkbar, dass das fortgesetzt wird, je nach Wahlergebnis eventuell ab Herbst mit CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt als Ministerpräsident.
Seit der Wiedervereinigung stellt die CDU in Sachsen den Ministerpräsidenten. Derzeit regiert Michael Kretschmer in einem Kenia-Bündnis mit Grünen und SPD.
Wie ist der Stand in Umfragen?
Auch in Sachsen liegt die AfD derzeit in Umfragen vorn, bei an die 35 Prozent. Es folgt die CDU mit um die 30 Prozent. Es gibt keine andere Partei, die völlig unbesorgt auf die Fünf-Prozent-Hürde schauen könnte: SPD und Grüne liegen bei 7 bis 8 Prozent. Die Linkspartei liegt in Umfragen derzeit um 5 Prozent herum, die FDP hingegen unter 5 Prozent.
Auch in Sachsen ist schwer zu taxieren, wo das Wagenknecht-Bündnis landen könnte. In einer Forsa-Umfrage aus dem Januar lag das BSW bei 4 Prozent, in einer Infratest-Umfrage bei 8 Prozent. Außerdem wollen die Freien Wähler in den Landtag, was in Sachsen auch möglich wäre, wenn sie zwei Direktmandate gewinnen könnten.
Welche Bündnisse sind politisch denkbar?
Die Grünen wäre Kretschmer als Partner in seinem Regierungsbündnis am liebsten los. Das hat er explizit so erklärt, aber auch gesagt, dass seine Partei womöglich am Ende doch mit den Grünen zusammengehen müsse, aus Verantwortung für die Demokratie. Aus seiner Sicht kann es nur ein Ziel geben: Die CDU so stark wie irgend möglich zu machen und damit auch noch an der AfD vorbeizuziehen.
Nach dem Wahltag könnte es auf die Frage zulaufen, ob das bisherige Kenia-Bündnis fortgesetzt wird oder ob es für eine große Koalition reicht, die Grünen also aus der Regierung ausscheiden. Derzeitig sieht es in den Umfragen aber nicht danach aus. Entsprechend steht Kretschmer vor der Aufgabe, sich einerseits klar von den Grünen abzugrenzen, andererseits aber die Auseinandersetzung nur so hart zu führen, dass man sich am Ende bei Koalitionsverhandlungen doch noch die Hand reichen kann.
Gut möglich also, dass das Kenia-Bündnis nach dem Wahltag gar keine Mehrheit mehr hat. Diskutiert wird, ob eine Minderheitsregierung der CDU infrage käme. Und die Linkspartei hat noch einen anderen Vorschlag zur Diskussion gestellt: eine Expertenregierung mit einem parteilosen Ministerpräsidenten.
Gegenüber der Linkspartei und ihren Ideen zeigt die CDU sich abweisend. Für die Linke aber geht es landespolitisch ums nackte Überleben. Das macht flexibel. Die Linke hat schon signalisiert, sich der CDU nicht komplett verschließen zu wollen.
Käme das Wagenknecht-Bündnis als neuer Partner für eine Politik mit womöglich bürgerlicher Prägung infrage? Die CDU hält sich zu dieser Frage bedeckt und kann auch darauf verweisen, dass die programmatischen Linien der neuen Partei noch nicht klar sind. Die starke Frau des Sachsen-BSW ist Sabine Zimmermann, politisch als einstige Bundestagsabgeordnete der Linken erfahren. Sie ist seit kurzem Co-Vorsitzende des neu gegründeten Landesverbandes und könnte als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf ziehen.
„Niedrige Löhne, niedrige Renten: Diese Themen treiben die Menschen in Ostdeutschland um, und alle Parteien haben das aus dem Blick verloren“, sagt Zimmermann über ihre Zielsetzung. Ihre neue Partei sieht sie unterwegs in „historischer Mission“, um die AfD zu stoppen.
Worauf setzt die AfD?
Auch in Sachsen ist eine Alleinregierung der AfD nicht das wahrscheinlichste Szenario, aber nicht auszuschließen. Für den Fall, dass es dafür nicht reicht, haben zumindest die Freien Wähler angekündigt, sie würden eine Einladung zu Gesprächen auch von der AfD annehmen. Das berichtet die „Leipziger Volkszeitung“. Die übrigen demokratischen Parteien haben klargemacht, dass für sie kein Zusammengehen mit der AfD infrage kommt.
Auch Ministerpräsident Kretschmer persönlich hat eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. „Das halte ich für glaubwürdig, alles andere wäre derzeit für die Christdemokraten nicht vermittelbar“, sagt Parteienforscher Thomeczek. Dass die Konkurrenz von Rechtsaußen derzeit in den Umfragen auf Platz eins liegt, treibt die Christdemokraten um.
Käme es am Wahltag tatsächlich so, würde dies das Selbstverständnis der Landes-CDU erschüttern. Vorab stehen Stimmungstests an: Die ersten Bürgermeisterwahlen haben schon stattgefunden. Am 9. Juni steht dann nicht nur die Europawahl an, sondern auch landesweit Kommunalwahlen.
Brandenburg ist der Nachzügler: Dort wird der neue Landtag am 22. September gewählt, also drei Wochen später als in Thüringen und Sachsen.
Wie ist der Stand im Umfragen?
Auch in Brandenburg liegt die AfD in den jüngsten Umfragen vorn: bei 28 Prozent (Insa, Januar) oder sogar bei 32 Prozent (Forsa, Januar). Zuletzt landete die SPD mit 17 Prozent knapp auf dem dritten Platz hinter der CDU (18 Prozent). Davor lagen die Sozialdemokraten aber meist auf dem zweiten Platz. Für die Linkspartei und die Freien Wähler geht es um das Überwinden der Fünf-Prozent-Hürde, die Grünen stehen mit derzeit 8 Prozent ein wenig besser da. Die FDP liegt in den Umfragen unter 5 Prozent.
Und auch in Brandenburg ist das BSW die große Unbekannte. Die Insa-Umfrage taxiert die Partei bei 13 Prozent, Forsa sieht sie bei 4 Prozent. Seriös zu schätzen ist das Ergebnis im Grunde noch nicht, zu unklar ist noch, mit welchem Personal und welchem Programm das BSW antritt.
Welche Bündnisse sind politisch denkbar?
Derzeit regieren SPD, CDU und Grüne gemeinsam. Womöglich kann dieses Bündnis nach dem Wahltag aber schon rein rechnerisch nicht fortgesetzt werden. In Brandenburg scheint die Lage weniger zugespitzt als in Thüringen und Sachsen. Aber auch hier könnte die Suche nach einer neuen Regierungsmehrheit kompliziert werden.
SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hat sich zuletzt hier und da spürbar von der Bundesregierung, die von seiner eigenen Partei angeführt wird, abgesetzt. Auf Unterstützung von der Bundesebene will er angesichts des schlechten Zustands der Ampel-Koalition wohl eher nicht setzen. Die AfD auf Platz eins, das wäre für Woidke auch eine persönliche Niederlage, regiert er das Land doch seit 2013.
Im Extrem-Fall regiert die AfD alleine.
Schon jetzt blickt die Republik auf die Landtagswahl in Thüringen und Sachsen am 1. September. Um welche Szenarien es geht und warum die Wagenknecht-Partei BSW die Lage noch einmal viel dynamischer macht.
CDU und Linkspartei in einer gemeinsamen Regierung: Rund ein halbes Jahr vor der Landtagswahl in Thüringen ist zum ernst zu nehmenden Szenario geworden, was vor Kurzem noch politisch undenkbar gewesen wäre. Und auch in Sachsen, wo ebenfalls am 1. September gewählt wird, ist die Lage höchst unübersichtlich. Diskutiert wird, ob im Osten aus Sicht der demokratischen Parteien die Unregierbarkeit droht. Welche Konstellationen sind denkbar?
Schwierig bis höchst schwierig war die Regierungsbildung in Thüringen schon in den vergangenen Jahren. Nun ist die Lage noch komplexer.
Wie ist der Stand in Umfragen?
Die Verschiebung der politischen Landschaft wird womöglich gewaltig: In Umfragen liegt die AfD mit mehr als 30 Prozent komfortabel vorn. Es folgen die CDU mit um die 20 Prozent, die Linkspartei mit Ministerpräsident Bodo Ramelow liegt bei 15 bis 20 Prozent. Ramelow regiert derzeit mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung. Die Grünen müssen bangen, ob sie die Fünf-Prozent-Hürde überwinden.
Die SPD steht in Umfragen etwas besser da, aber nicht so viel, dass ein mögliches Ausscheiden aus dem Landtag ihr gar keine Sorgen mehr bereiten müsste. Die FDP ist zwar derzeit im Landtag vertreten, liegt in Umfragen aber nur noch bei 3 bis 4 Prozent.
Und dann ist da noch die Wagenknecht-Partei BSW. Das Institut Forsa taxierte sie im Januar bei 4 Prozent, das Institut Insa hingegen bei 17 Prozent. Nach Daten des Instituts Civey können sich sogar 27 Prozent der Menschen in Thüringen vorstellen, für das BSW zu stimmen. Diese Diskrepanzen zeigen, wie schwer die Erfolgsaussichten abzuschätzen sind.
Und ein weiterer Unsicherheitsfaktor kommt hinzu: Auch Hans-Georg Maaßen will seine neu gegründete Werteunion bei der Landtagswahl in Thüringen antreten lassen. Dieses politische Gründungsprojekt steht allerdings noch ganz am Anfang.
Wovon hängt ab, wie machtvoll die AfD wird?
Der starke Mann in der Thüringer AfD ist Björn Höcke, der Landesverband wird vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet. Der schlimmste Fall aus Sicht der demokratischen Parteien wäre eine absolute Mehrheit für die AfD. Das ist sehr unwahrscheinlich, aber nicht komplett auszuschließen. Je mehr kleine Parteien, zu denen in Thüringen auch die SPD gerechnet werden muss, die Fünf-Prozent-Hürde überwinden, desto unwahrscheinlicher ist eine absolute Mehrheit für die AfD.
„Das stellt insbesondere SPD und Grüne vor ein Dilemma“, sagt Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam. „Um die AfD kleinzuhalten, wäre es am sinnvollsten, die Stimmen des eher linken Lagers zu bündeln, damit nichts durch die Fünf-Prozent-Hürde verloren geht. Aber natürlich muss jede der Parteien für sich selbst kämpfen. Im Ergebnis könnte das die AfD sogar stärken.“
Würde die AfD stärkste Partei, stünde ihr nicht zwingend, aber nach politischer Gepflogenheit das Amt des Landtagspräsidenten zu. Der aber ist Herr des Verfahrens bei der Wahl des Ministerpräsidenten. Sollte keine Mehrheit gegen die AfD zustande kommen, ist nicht auszuschließen, dass in einem dritten Wahlgang sogar Björn Höcke zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte. Die verfahrensrechtlichen Feinheiten sind umstritten. Aber Parteien, die das verhindern wollen, müssten sich womöglich in besonderem Maße auf ihre Verantwortung fürs große Ganze besinnen und vorher andere Mehrheiten ermöglichen.
Auch wenn die AfD keine absolute Mehrheit der Sitze hat, wäre sie schon in einer machtvollen Position, wenn sie mehr als ein Drittel der Mandate auf sich vereinigen könnte, was derzeit wahrscheinlich ist. Dann könnten die anderen Fraktionen nicht mehr ohne Zustimmung der AfD den Landtags zwecks Neuwahl auflösen. Auch könnte die AfD die Arbeitsfähigkeit von Gremien blockieren, indem sie etwa Besetzungen verhindert.
Wie beeinflusst die Wagenknecht-Partei die Lage?
Bisher hat die Wagenknecht-Partei im Osten nicht mit vielen prominenten Namen aufwarten können. Thüringen ist die Ausnahme von der Regel, zwar nicht aus bundesweiter Perspektive, aber mit dem Blick von vor Ort: Katja Wolf, Oberbürgermeisterin von Eisenach, ist von der Linkspartei zum BSW übergetreten. Sie ist im Land verhältnismäßig bekannt und gut vernetzt, und sie könnte als Spitzenkandidatin der Landesliste um Stimmen werben.
Parteichefin Sahra Wagenknecht selbst hat vor Kurzem signalisiert, in Thüringen (und auch in Sachsen) Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen. Sie brachte ein Bündnis mit der CDU ins Spiel. „In Thüringen ist keine Mehrheit ohne CDU oder AfD denkbar“, sagt dazu Politikwissenschaftler Thomeczek. „Die AfD scheidet als Partner aus, also ist es für Wagenknecht strategisch sinnvoll, das CDU-Publikum zu umwerben. Sie will so signalisieren: Wer BSW wählt, kann helfen, die verfahrene Mehrheitsbildung aufzulösen.“
Nach Einschätzung von Thomeczek könnte das auch stimmen: „Wenn das BSW viele Stimmen auf sich vereint und so dafür sorgt, dass andere Parteien es gar nicht erst in den Landtag schaffen, könnte das eine Zersplitterung des Parlaments verhindern und so das Schmieden von Bündnissen erleichtern.“
Die CDU aber kann kein Interesse daran haben, das BSW mit einer Erwiderung der Annäherung zu adeln. Entsprechend zurückhaltend reagierte man dort auf Wagenknechts Avancen.
Welche Bündnisse sind politisch denkbar?
Klar ist nur eines: Mit der AfD zusammenarbeiten will keine der anderen Parteien. Ansonsten werden nach dem Wahltag womöglich bisherige Gewissheiten aufgegeben werden müssen. Das muss aber nicht heißen, dass CDU und Linkspartei ein Regierungsbündnis eingehen müssten. Derzeit wird Thüringen von einer Minderheitenregierung geführt. Gut denkbar, dass das fortgesetzt wird, je nach Wahlergebnis eventuell ab Herbst mit CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt als Ministerpräsident.
Seit der Wiedervereinigung stellt die CDU in Sachsen den Ministerpräsidenten. Derzeit regiert Michael Kretschmer in einem Kenia-Bündnis mit Grünen und SPD.
Wie ist der Stand in Umfragen?
Auch in Sachsen liegt die AfD derzeit in Umfragen vorn, bei an die 35 Prozent. Es folgt die CDU mit um die 30 Prozent. Es gibt keine andere Partei, die völlig unbesorgt auf die Fünf-Prozent-Hürde schauen könnte: SPD und Grüne liegen bei 7 bis 8 Prozent. Die Linkspartei liegt in Umfragen derzeit um 5 Prozent herum, die FDP hingegen unter 5 Prozent.
Auch in Sachsen ist schwer zu taxieren, wo das Wagenknecht-Bündnis landen könnte. In einer Forsa-Umfrage aus dem Januar lag das BSW bei 4 Prozent, in einer Infratest-Umfrage bei 8 Prozent. Außerdem wollen die Freien Wähler in den Landtag, was in Sachsen auch möglich wäre, wenn sie zwei Direktmandate gewinnen könnten.
Welche Bündnisse sind politisch denkbar?
Die Grünen wäre Kretschmer als Partner in seinem Regierungsbündnis am liebsten los. Das hat er explizit so erklärt, aber auch gesagt, dass seine Partei womöglich am Ende doch mit den Grünen zusammengehen müsse, aus Verantwortung für die Demokratie. Aus seiner Sicht kann es nur ein Ziel geben: Die CDU so stark wie irgend möglich zu machen und damit auch noch an der AfD vorbeizuziehen.
Nach dem Wahltag könnte es auf die Frage zulaufen, ob das bisherige Kenia-Bündnis fortgesetzt wird oder ob es für eine große Koalition reicht, die Grünen also aus der Regierung ausscheiden. Derzeitig sieht es in den Umfragen aber nicht danach aus. Entsprechend steht Kretschmer vor der Aufgabe, sich einerseits klar von den Grünen abzugrenzen, andererseits aber die Auseinandersetzung nur so hart zu führen, dass man sich am Ende bei Koalitionsverhandlungen doch noch die Hand reichen kann.
Gut möglich also, dass das Kenia-Bündnis nach dem Wahltag gar keine Mehrheit mehr hat. Diskutiert wird, ob eine Minderheitsregierung der CDU infrage käme. Und die Linkspartei hat noch einen anderen Vorschlag zur Diskussion gestellt: eine Expertenregierung mit einem parteilosen Ministerpräsidenten.
Gegenüber der Linkspartei und ihren Ideen zeigt die CDU sich abweisend. Für die Linke aber geht es landespolitisch ums nackte Überleben. Das macht flexibel. Die Linke hat schon signalisiert, sich der CDU nicht komplett verschließen zu wollen.
Käme das Wagenknecht-Bündnis als neuer Partner für eine Politik mit womöglich bürgerlicher Prägung infrage? Die CDU hält sich zu dieser Frage bedeckt und kann auch darauf verweisen, dass die programmatischen Linien der neuen Partei noch nicht klar sind. Die starke Frau des Sachsen-BSW ist Sabine Zimmermann, politisch als einstige Bundestagsabgeordnete der Linken erfahren. Sie ist seit kurzem Co-Vorsitzende des neu gegründeten Landesverbandes und könnte als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf ziehen.
„Niedrige Löhne, niedrige Renten: Diese Themen treiben die Menschen in Ostdeutschland um, und alle Parteien haben das aus dem Blick verloren“, sagt Zimmermann über ihre Zielsetzung. Ihre neue Partei sieht sie unterwegs in „historischer Mission“, um die AfD zu stoppen.
Worauf setzt die AfD?
Auch in Sachsen ist eine Alleinregierung der AfD nicht das wahrscheinlichste Szenario, aber nicht auszuschließen. Für den Fall, dass es dafür nicht reicht, haben zumindest die Freien Wähler angekündigt, sie würden eine Einladung zu Gesprächen auch von der AfD annehmen. Das berichtet die „Leipziger Volkszeitung“. Die übrigen demokratischen Parteien haben klargemacht, dass für sie kein Zusammengehen mit der AfD infrage kommt.
Auch Ministerpräsident Kretschmer persönlich hat eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. „Das halte ich für glaubwürdig, alles andere wäre derzeit für die Christdemokraten nicht vermittelbar“, sagt Parteienforscher Thomeczek. Dass die Konkurrenz von Rechtsaußen derzeit in den Umfragen auf Platz eins liegt, treibt die Christdemokraten um.
Käme es am Wahltag tatsächlich so, würde dies das Selbstverständnis der Landes-CDU erschüttern. Vorab stehen Stimmungstests an: Die ersten Bürgermeisterwahlen haben schon stattgefunden. Am 9. Juni steht dann nicht nur die Europawahl an, sondern auch landesweit Kommunalwahlen.
Brandenburg ist der Nachzügler: Dort wird der neue Landtag am 22. September gewählt, also drei Wochen später als in Thüringen und Sachsen.
Wie ist der Stand im Umfragen?
Auch in Brandenburg liegt die AfD in den jüngsten Umfragen vorn: bei 28 Prozent (Insa, Januar) oder sogar bei 32 Prozent (Forsa, Januar). Zuletzt landete die SPD mit 17 Prozent knapp auf dem dritten Platz hinter der CDU (18 Prozent). Davor lagen die Sozialdemokraten aber meist auf dem zweiten Platz. Für die Linkspartei und die Freien Wähler geht es um das Überwinden der Fünf-Prozent-Hürde, die Grünen stehen mit derzeit 8 Prozent ein wenig besser da. Die FDP liegt in den Umfragen unter 5 Prozent.
Und auch in Brandenburg ist das BSW die große Unbekannte. Die Insa-Umfrage taxiert die Partei bei 13 Prozent, Forsa sieht sie bei 4 Prozent. Seriös zu schätzen ist das Ergebnis im Grunde noch nicht, zu unklar ist noch, mit welchem Personal und welchem Programm das BSW antritt.
Welche Bündnisse sind politisch denkbar?
Derzeit regieren SPD, CDU und Grüne gemeinsam. Womöglich kann dieses Bündnis nach dem Wahltag aber schon rein rechnerisch nicht fortgesetzt werden. In Brandenburg scheint die Lage weniger zugespitzt als in Thüringen und Sachsen. Aber auch hier könnte die Suche nach einer neuen Regierungsmehrheit kompliziert werden.
SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hat sich zuletzt hier und da spürbar von der Bundesregierung, die von seiner eigenen Partei angeführt wird, abgesetzt. Auf Unterstützung von der Bundesebene will er angesichts des schlechten Zustands der Ampel-Koalition wohl eher nicht setzen. Die AfD auf Platz eins, das wäre für Woidke auch eine persönliche Niederlage, regiert er das Land doch seit 2013.